Verbockt! Die Chance Markus endlich persönlich kennenzulernen, hier in Dresden. Ich habe es geschafft. Ich war dort und habe ihn live erleben können.

Verbockt - Markus Bock in Dresden

Zum 2. mal war Markus Bock, vom Dresdner Bündnis gegen Depression e.V., eingeladen. Ein Leseabend im Festsaal des Marcolini-Palais, dem einzig erhaltenen Barocksaal der Ära Brühl in Dresden. Die illusionistische Wandmalerei des Raumes wird 1745 Stefano Torelli zugeschrieben. Im Palais wohnte 1813 Napoleon. Ganz sicher hielt er sich auch im Saal auf.

 

Einen Tag vorher begann mein Kopf selbstverständlich mit seinem Gedankenkarussell. Das schaffst du nicht ... Früh am Tag, war mir schlecht, mein Körper versagte den Dienst ... Ich gab nicht auf. Michael, änderte seinen Tagesplan, um mich zum Palais zu bringen. Damit war eindeutig eine Entscheidung gefallen. Ich würde dorthin gehen, auch wenn meine Psyche noch anderer Meinung war. Die letzte Entscheidung dazu, würde ich am Nachmittag treffen. 

Pünktlich 16.00 Uhr holte mich Michael ab. Ja, ich war auf dem Weg zur Lesung. Das Klinikum überraschte mich sofort mit seiner gigantischen Anlage. Die historischen Bauten beeindruckten mich sehr. Ohne Michael hätte ich jedoch nicht den Saal gefunden. Ich war außerstande mich zu orientieren. Meine Anspannung stand auf Kehlkopfhöhe. Aber zurück, nein das wollte ich nicht.

Unsicher lugte ich durch eine offene Tür. Da stand ein Tisch mit Informationen. Hier waren wir richtig. Drei Schritte in den Raum und da standen Markus Bock und Sven Leinert vom Bündnis. Hallo Markus... Ich wußte nicht woher ich den Mut nahm, aber so wie die Beiden vor mir standen, hatte ich es einfach mit ihnen in Kontakt zu gehen. Herzlich wurde ich begrüßt. Markus nahm mich in den Arm "ich bin stolz auf dich". Nein, Zeit für ein Gespräch war jetzt nicht. Aber das war auch nicht wichtig. Ich war da und ich würde die Lesung verfolgen. Im 2. Anlauf hatte ich es geschafft.  

Der Festsaal wirklich geil. Obwohl Festsaal vielleicht zu viel verspricht. Festsälchen trifft es eher, denn er war nicht besonders groß, für einen Saal. Aber wunderschön und bis auf den letzten Stuhl mit Menschen gefüllt. Ich war nahe dran, nun zu gehen. "Kann ich bitte einen Stuhl haben, ganz hinten". Ein Stuhl wurde gefunden und ich hatte nun ganz hinten meinen Platz. Es wurde noch voller, neben mir die Wand entlang standen die Menschen und eine Frau setzte sich genau vor meine Füße. Ich musste sie bitten, etwas weiter nach vorn zu rutschen, was ich auch tat. Ich saß gespannt und angespannt (meine Beine wackelten fürchterlich) da und wartete auf den Beginn. Ich war stolz auf mich.

Verbockt ...

Verbockt ... Ich lebe seit 35 Jahren mit Depressionen, mit Dysthymie. Markus fing einfach an zu erzählen. Ich rede jeden mit DU an, wer das vergisst zahlt in den Spendenhut. Ich gebe keine Ratschläge. Ich erzähle von mir. Ich erzähle von der Depression, wie ich sie erlebe. Es gibt eine Regel! Sprecht über diesen Abend! Es ist normal wie alles andere auch. Ich bin kein Therapeut! An alle Betroffenen, bitte sorgt für euch! Jeder Abend ist kostenfrei, damit jeder die Möglichkeit der Teilnahme hat. Wem der Abend gefällt, kann eine Spende dalassen, für meinen gemeinnützigen Verein. Fragen bitte aufheben bis zum Schluss. Wenn ich lachen sollte, macht euch nichts draus. Das kommt vor, auch wenn ich Depressionen habe. ... 

Ich bin schon von seiner Einführung überrascht und beeindruckt. Cool und locker sagt er was und wie er sich den Abend vorstellt. Lach - zumindest sieht es so aus, denn die Wahrheit ist ganz sicher eine andere.

Markus offen & ehrlich

Markus las aus seinem Buch. Ich konnte nicht ... ich schaffte es nicht ... Ich schreibe es hier nicht auf, denn wer es wissen möchte, kann es nachlesen. Für alle oder viele Betroffene, so wie mich, zählte er die 100 und 1 Dinge auf, die ich einfach nicht mehr konnte.

Er legt das Buch zur Seite und beginnt zu erzählen, wie er den Ursprung seiner Lebensweise und seiner Krankheit fand und wo. Wie sein Leben begann und sich die Handlungsmuster und Glaubenssätze einbohrten in sein Leben, sein Lebensverhalten. Nein, an seiner Stimme konnte ich nicht erkennen, ob das was er da gerade erzählte noch weh tut, Wut auslöst oder Frust. Er sprach schnell und in einer beständig angenehmen Stimmlage.

Er erzählte von den Anfängen und wie es sich verstärkte, immer mehr. Handlungsunfähig. Nicht in der Lage etwas daran zu ändern.

 

 

Markus erzählt davon, wie er sich beständig abwertet, immer Fehler findet, aufgibt bevor er losgeht, vom verkriechen in der Wohnung, vom nicht mehr raus gehen, davon wie er Briefe nicht mehr öffnen kann und schon gar nicht zeitnah beantworten oder daraufhin handeln kann. Er pendelt zwischen arbeitslos und arbeiten, überlebt in dem er klaut, erwischt wird, wieder klaut. Er spricht von seinen Eltern, die immer da waren, wenn er etwas nicht geschafft hatte. Er spricht von Suizidgedanken und Suizidversuchen. Niemand hat bemerkt wie es ihm ging. NIemand hat ihn besucht oder nach ihm gefragt. 

Er zeigt knallhart und ehrlich auf, wie tief er gefallen ist. Ein ungeschönter Blick in seine Gefühls- und Lebensabschnitte und der damit verbundenen Auswirkungen. Er sitzt da, nimmt ab und zu ein Schluck Wasser: Manchmal geraten seine Hände in Bewegung, meistens dann, wenn er wieder aufzählt warum er es nicht konnte bzw. gar nicht erst versucht hat, weil er es nicht konnte.

 

Er spricht von seine 2 wichtigsten Haltelinien, seinen schönsten Zeiten im Leben. Von den Stunden nach der Geburt seines Sohnes und der Zeit seiner frischen Liebe zu seiner Frau. Da zeigt er sein Herz ganz offen und ein warmes Lächeln zieht in sein Gesicht. Sein einziger Ratschlag am Abend: Leute verliebt euch... .

Ich sorge für mich

Nach einer Stunde entschließe ich mich zu gehen. Meine Anspannung und auch Erinnerungen werden stärker. Ich weiß, wenn ich jetzt nicht gehe, dann wirft es mich um. Ich sorge für mich und verlasse leise den Saal.

Als ich vor dem Klinikum stehe, merke ich wie sehr mich die Lesung mitgenommen hat. Ich bin dankbar und stolz darauf es geschafft zu haben. Ich hole meinen Fotoapparat aus dem Rucksack und sehe mich in der Friedrichstraße um. Mein Skill funktioniert. Kein Wunder bei dem was ich hier entdecken kann.

 

Plötzlich hupt es neben mir. Dann kommt ein dicker Mercedes rückwärts in die Seitenstraße gefahren, die ich gerade überqueren möchte. Der Fahrer (könnte ein Türke gewesen sein) spricht mich wütend an: sie dürfen hier nicht fotografieren ... Fassungslos stehe ich da. Ehe ich reagieren kann, steigt er aus und spricht laut auf mich ein. Irgendwie bekomme ich eine Antwort (Widerspruch) hin, aber ich kann diesen Mann nicht beruhigen und nahe daran hysterisch loszuschreien. Ich bekomme Hilfe von einem jungen Mann, der sich einmischt und mehrfach erklärt, dass ich im öffentlichen Raum fotografieren darf was ich will. Erst als noch andere Passanten stehen bleiben, steigt der Mercedesfahrer frustriert wieder in sein Auto und fährt davon.  

 

Mir schlottern die Knie und mein Kopf läuft Amok. Ich habe nun nur noch ein Ziel, die Straßenbahn. Ich habe heftig zu kämpfen, aber komme wohlbehalten zu Hause an. Ich erzähle Michael was ich erlebt habe und kann mich wieder beruhigen. Es war ein schöner Leseabend und ich bin stolz darauf, da gewesen zu sein.

Mein Tag danach

Ich bin müde und völlig neben der Spur. Ich glaube nicht, dass es die Lesung war, die sich heute rächte. Ich denke diese blöde Situation auf der Straße hat mich aus der Bahn geworfen. Ich nehme den Tag wie er ist und mache sehr langsam. Erst gegen Mittag komm ich ein wenig in den Tag. Leider muss ich meiner Freundin unser Treffen absagen, ich würde es heute nicht gut schaffen. Dann mache ich den Einkauf und koche.

 

Gedanken sitzen in mir. Ich bin so dankbar für diesen Abend. Markus ist ein cooler junger Mann und ich ziehe meinen Hut! Ich hätte gut genau wie er enden können. Ich hatte einen "Vorteil": Es war egal was ich tat, es war nie richtig. In meinem Leben ging es um Anpassung und Leistung, was sich in meinem Perfektionismus zeigte. Ich hatte nur eins gelernt: Funktionieren, egal wie es dir geht. Es wird dir niemand zur Seite stehen oder helfen. So habe ich überlebt. Bis ...

Bis zu meinem Zusammenbruch. An dieser Stelle hatte ich überaus großes Glück. Meinen gerade geheirateten Mann und schon erwachsene Kinder.

 

Nein, ich bereue nicht, zur Lesung gegangen zu sein. Ich bin dankbar dafür. Ich bin dankbar dafür, dass Markus es schafft, so hart und ehrlich aufzuzeigen wie ein Leben mit Depression ist. Es ist ein wertvoller Beitrag gegen Stigmatisierung. Dankbar auch für einen ersten persönlichen Kontakt mit Sven Leinert.

 

Verbockt = Wertvoll

Lieber Markus, auch wenn du wieder deine Fehler suchst und findest, auch wenn du dich für diesen Abend wieder selbst klein machst, sage ich DIR:

Du hast keinen Fehler gemacht!

Du hast anderen zwei wertvolle Stunden geschenkt.

Ich bin dankbar für die wertvolle eine Stunde mit dir.

 

Verbockt ... heißt DU BIST EIN WERTVOLLER MENSCH mit all deinen Facetten.

Verbockt - EINZIGARTIG WUNDERVOLL"!

Pass auf dich auf!