Mein Leben mit der Depression. Wenn eine Krebsdiagnose dazwischen funkt, Ängste, Selbstüberforderung und Trigger - Grenzerfahrung ist auch Chance.

Prostatakrebs - Diagnose ist auch Chance

Ich lebe mit Depression/PTBS, dass macht mich anders, aber nicht schlechter als andere Menschen. Doch ich habe ein Handicap, dass mich akuter denken, fühlen und handeln lässt, wenn z.B. die Diagnose Prostatakrebs,  bei meinem besten Ehemann der Welt, gestellt wird. 

 

ACHTUNG! Bitte, es ist kein Wort als Vorwurf geschrieben oder an eine Person gerichtet. Es geht mir nur darum aufzuzeigen, in welchem Dilemma ich mich (andere Betroffene) befinde.  

 

Ich lebe mit den Diagnosen schwere Depression, Angststörung, dissoziative Störung und PTBS. Ich bin weit gekommen, auf meinem Weg in der Therapie. Mir geht es besser, als vor Jahren und auch besser als vor einem Jahr. Dafür habe ich hart gekämpft, in drei Monaten Traumaklinik. Ich lerne gerade ohne Psychotherapie zu leben, obwohl ich weit davon entfernt bin gesund zu sein. 

KRACH!

 

Da schlägt die Diagnose Prostatakrebs auf mich-uns ein.

Eine Diagnostik bringt alles durcheinander

Prostata-Krebs, eine Diagnose, die über uns herein bricht. Sie wirft einiges über den Haufen, lässt uns lernen damit umzugehen, miteinander das Thema zu bewältigen und Wege der Diagnostik und Heilung zu gehen. Wir sind füreinander da, so weit dies möglich ist. Es scheint für uns noch glimpflich abzugehen, da wir eine gute und frühzeitige Diagnostik gemacht haben, die Tumore sehr klein sind und wahrscheinlich "nur" eine Verödung zur Heilung erfolgen muss. So sieht es erst einmal aus. Doch jetzt oder später, könnte die Konstellation auch anders aussehen, ich könnte/müsste vielleicht pflegende Aufgaben übernehmen. Natürlich möchte ich von ganzem Herzen an seiner Seite sein und ich gebe alles was ich kann, mit all meiner Kraft. Doch meine eigene Krankheit, macht alles unendlich schwieriger, als es sowieso schon ist.

 

Gut-gemeinte & herzliche Worte können Ohrfeigen sein

  • ...jetzt ist dein Mann mal an der Reihe, umsorgt zu werden... 
  • ...du kannst ihn nicht allein lassen...
  • ...du musst es schaffen, ihn zu begleiten...
  • ...du schaffst das schon...

"Normale" Erwartungshaltungen - Beispiele

"Normale" Erwartungshaltungen, die im Leben so geprägt und erlebt wurden oder von anderen so erlebt werden, setzen mich unter Druck und bewirken einem übermächtigen Handlungsdrang, den ich gar nicht leisten kann. Das ist an sich, schon kaum psychisch zu bewältigen und für mich die selbstgemachte Katastrophe. Ich weiß es, aber ich habe noch keinen Weg heraus gefunden. 

 

Beispiele:

  • Ich muss jetzt für meinen Mann da sein.
  • Ich muss zurückstecken und funktionieren.
  • Ich kann ihn nicht allein lassen.
  • Ich muss mich mit den Gegebenheiten arrangieren, auch wenn es mich überfordert.
  • Ich muss stark sein, für meinen Mann.
  • Ich muss seine Befindlichkeiten und Äußerungen hinnehmen, er ist ja krank. 
  • Ich muss hinnehmen, wie er mit mir spricht, mich behandelt, denn er ist ja krank.
  • Ich bin dafür verantwortlich, wenn ...
  • Ich bin keine gute Frau, wenn ich ihn nicht begleite.
  • In guten wie in schlechten Zeiten, egal wie und mit aller Kraft.
  • ....

Daneben wirken meine eigenen Befindlichkeiten, Bedürfnisse, Handlungszwänge und andere Einschränkungen, im Leben mit der Depression.

 

Grenzüberschreitungen (Beispiele)

  • Ich werde vom Angehörigen allein gelassen, er geht seinen Weg, ohne mich.
  • Mit mir wird nichts besprochen, nur die Ergebnisse bekomme ich, auf Nachfrage mitgeteilt.
  • Er nimmt sich ernst - meine Ansichten, Einwände oder Befindlichkeiten werden völlig negiert oder klein geredet.
  • Er möchte mich 100% beanspruchen und benutzen.
  • Mein eigenes Leben, meine eigene Familie sind für ihn nebensächlich.
  • Ich soll meinen Angehörige retten, zaubern, telefonieren...
  • Ich muss meinen Angehörige überzeugen, überreden, stützen und begleiten.
  • Ich muss meinen Angehörigen überreden, leben zu wollen, weil es noch Hoffnung gibt.
  • Ich muss dutzende SMS aushalten, die Suizid und Vorwürfe enthalten.
  • Ich kann nur zuschauen, wie mein Angehöriger lebt, vegetiert, sich gehen lässt, das Bett nicht mehr verlässt...
  • Ich bin selbst krank, aber es interessiert nicht, ich muss funktionieren.
  • Ich muss zusehen wie er leidet oder stirbt.
  • Ich muss irgendwie alles wuppen, habe keine andere Wahl. Ich darf nicht schwach sein.
  • .....

MEINE Gefühle & Ängste

  • Ich kann nicht gut damit umgehen, dass er Tumore hat - Krebs hat. Es lässt mich an allem zweifeln.
  • Ich habe Angst, vor dem was kommen könnte, aber nicht kommen muss - ich es nicht leisten kann.
  • Ich fühle mich hilflos, ohnmächtig und überfordert. Meine Angst ihn zu verlieren ist übermächtig.
  • Ich werde hart getriggert (Verhaltensweisen, Befürchtungen) und kämpfe darum, diese dort zu lassen wo sie hingehören, in der Vergangenheit. 
  • Ich fühle mich als Versager, weil ich nicht mitfahren kann, der lange Belastung nicht standhalten kann.
  • Ich fühle mich dumm, wenn mir nicht zugehört wird, mir sofort unüberlegt Vorwürfe gemacht werden, mir die Verantwortung zugeschoben wird oder mir umgeplante Handlungen unterstellt werden.
  • Ich fühle mich minderwertig, klein und furchtbar, weil ich seine Tochter bitten musste, die Begleitung zu übernehmen.
  • Ich schäme mich dafür, nicht leisten zu können, was andere leisten.
  • Ich mache mir selbst Vorwürfe, nicht gut Leistungsfähig zu sein, nicht bei ihm zu sein.
  • Ich kann meine Ängste und Gedanken zum Krebsthema, anderen Therapiethemen und einer noch unerledigten Therapie-Hausaufgabe, nicht abstellen. Sie drehen sich im Kreis und laufen auch mal Amok.
  • Ich fühle mich allein gelassen, gerade jetzt ohne Therapie, trotz dem die Therapeutin das Wissen hat wie es gerade läuft, keine Akut-Therapiestunden notwendig erscheinen.
  • ....

Natürlich weiß ich, dass fast alles nicht der Wahrheit entspricht, nicht in mein JETZT gehört. Doch es überfällt mich, macht mich minimal Handlungsfähig und überfordert mich derzeit völlig. 

 

Was ich möchte

Ich möchte,

  • meinen Mann nicht leiden sehen oder verlieren. 
  • mit meinem Angehörigen zusammen gehen, die Last gemeinsam tragen. So weit ich es, für mich selbst, verantworten kann.
  • möchte ernst genommen werden - mir zugehört wird, in meinen Gedanken, Wissen, Befindlichkeiten, Gefühlen und in meinem Denkweisen.
  • dass mir keine Handlungsweisen unterstellt oder Vorwürfe zu meinen Handlungen gemacht werden. Ich habe einen klaren Kopf zu denken. Auch wenn es unsinnig erscheinen mag, ist doch meine Entscheidung. Es ist mir wichtig und ich muss nicht um Erlaubnis fragen.
  • nicht meine eigene Erwartungen, die anderer oder Erwartungen die als "normal" erachtet werden, erfüllen. DAS KANN ICH NICHT!
  • für mich selbst sorgen, meinen Suizidgedanken und den Befindlichkeiten meiner eigenen Krankheit, entgegen stehen. Ich kann nicht alles leisten!
  • dass meine Bedürfnisse und Grenzen wahrgenommen, beachtet und eingehalten werden.
  • ich möchte nicht immer "Schuld" sein oder "Verantwortung" tragen, wenn etwas nicht verstanden wird oder nicht verstanden werden will.
  • so stark sein für meinen Mann. Ich möchte so vieles und kann es nicht. 

Gedanken & Wissen

  • Ich bin auch krank und kann nicht alles leisten!
  • Ich kann es nicht ändern, ich kann nicht zaubern oder ihn retten, auch wenn meine Angst der Horror ist.
  • Ich bin UNSCHULDIG, auch wenn ich es anders fühle. 
  • Ich muss meine eigenen Grenzen selbst einhalten bzw. diese aufzeigen und klar benennen. Die Einhaltung einfordern, wenn es sein muss.
  • Ich muss nicht der Blitzableiter, der Mülleimer oder die Haltestange sein. Das will ich nicht leisten.
  • Auch wenn derzeit die Nutzung von Skills und anderem Handwerkszeug nicht positiv verlaufen, darf ich nicht aufgeben und muss weiter üben.
  • Ich darf Grenzen haben, weinen, wütend sein und schreien.
  • Ich darf EIGENE Bedürfnisse haben. Ich muss nicht alles leisten oder wortlos ertragen.
  • Ich darf mich abgrenzen und auch gehen!!, wenn ich missachtet und missbraucht werde.
  • Ich kann niemanden retten. Jeder trifft seine eigenen Entscheidungen Hilfe und Behandlungen anzunehmen oder nicht.
  • Ich kämpfe mit Angst, Ohnmacht, Hilflosigkeit und Schuldgefühlen. Diese Gefühle sind in der Vergangenheit stark geprägt worden und verknüpfen sich jetzt mit der neuen realen Angst.
  • ICH BIN NICHT ohnmächtig, hilflos und unschuldig. Ich kann die Diagnose annehmen, akzeptieren und meine Beste geben, von ganzem Herzen.

Gemeinsam sind wir stark

Gesunde Menschen haben mit so einer Diagnose auch zu kämpfen und erleben sich ganz sicher ebenfalls stark in Sorge und Angst. Gesunde Menschen können, in der Regel, besser damit umgehen, als Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen, weil sie nicht mit Triggern, Leistungseinschränkungen und durch die Depression hervor gerufenen Verstärkungen der negativen Sichtweisen leiden. Auch ist der gemeinsame Diagnoseweg für "normale" Menschen anders, als bei psychische belasteten, denke ich.

 

Ich erlebe gerade wie aktiv und lebenswillig mein Mann sich der Diagnose stellt und alle Untersuchungen über sich ergehen lässt. Er verweigert sich nicht, ein Glück. Das ist nicht bei jedem kranken Angehörigem so. Ich muss nicht überreden und kämpfen, damit er notwendige Hilfe annimmt. Ich muss nicht tatenlos zusehen, wie er in der Krankheit sich windet oder badet und zu Grunde geht. Dafür bin ich sehr sehr dankbar.

 

Natürlich sorgt er sich und hat Angst. Natürlich zeigt er niemandem wie es ihm wirklich geht und will uns alle damit schützen. Doch er kann mir und auch den Kindern, ganz sicher nichts vormachen. Anders als ich, geht er mutig und hoffnungsvoll voran. Trigger machen meine Angst zu einem Ungeheuer, welches er nicht hat und bekämpfen muss. Welch ein wunderbares Glück.

Mir hat diese Diagnose einen heftigen Hieb von Hinten gegeben, mir den Halt genommen. Die Depression erhält leider Kraft und Stärke. Sie schränkt meine Handlungsfähigkeit stark ein. 

 

Neue Herausforderungen & Chancen

  • Gemeinsam lernen wir jetzt mit der Krebserkrankung umzugehen und durch die Diagnostik zu gehen.
  • Wir haben die Chance zu lernen, wie wir  gemeinsam diese Last tragen. Jeder für sich und doch gemeinsam. 
  • Wir lernen nun, uns BEIDE diesen Gedanken und Ängsten zu stellen, denn es wird nicht die letzte Krankheit sein, die wir gemeinsam erleben.
  • Wir sind jetzt in dem Alter angekommen, wo auch Krankheit oder Tod keine Seltenheit ist. Es macht wenig Sinn diese Gedanken lachend wegzubügeln, zu verdrängen, zu verweigern und fröhlich zu sagen: "bis 85 habe ich geplant". 
  • Wir  haben gemeinsam erfahren, bis 85 ist geplant, doch plötzlich kann alles ganz anders sein. Plötzlich können wir schwer krank oder Tod sein.
  • Wir haben nun sehr deutlich und hart die Erfahrung gemacht, unser Leben ist endlich! Wir haben es unfreiwillig zur Kenntnis genommen. Wir beide haben die Grausamkeit dieser Erkenntnis hautnah erlebt.
  • Doch noch müssen Gedanken sich nicht vorrangig um Krankheiten drehen, auch wenn sie mich gerade hart jagen. Ich werde lernen sie zu akzeptieren und meinen Focus auf das Leben ausrichten.
  • Wir erleben, dass nach anfänglichem Chaos im Denken und Handeln, langsam Akzeptanz  uns Ruhe bringt und wir noch ein Stück tiefer im Herzen zusammenstehen.
  • Es ist noch nicht so weit, an das streben zu denken. Es besteht eine 98%-Heilungschance. Diese Hoffnung trägt uns Beide.

Wir haben noch viel ZEIT FÜR GEMEINSAMES:

  • LEBENSGEFÜHL & LIEBE
  • LACHEN & FRÖHLICHSEIN
  • TRAURIGSEIN & GLÜCKLICHSEIN
  • TRÄUMEN & WÜNSCHEN
  • JA, AUCH KRANKHEIT 
  • GENIEßEN DER ZEIT, DER GLÜCKSMOMENTE

Wir werden gemeinsam alt. Wie alt, entscheidet das Schicksal. NOCH IST ZEIT!