Überleben. Heute so und morgen ganz anders. Heute gerade stehen und morgen nicht aufstehen können. Der Belastungspegel ist zu hoch.

Überleben, weil aufgeben keine Option ist.

Seit der Prostatakrebs-Diagnose bin ich wieder gefangen. Ich kann mich nicht befreien. Mein Kopf geht seine eigenen Wege und meine Leistungsfähigkeit ist niedrig. Ich bin völlig unmotiviert und interessenlos. Der Tag geht irgendwie dahin. Weiter nichts.

 

Ich möchte reden und doch kann ich es nicht. Ich möchte schreiben und dann ist der Kopf leer. Ich möchte weinen und schreiben, doch keine Träne und kein Schrei ist zu finden. Angst und Wut bahnen sich ihren Weg und behindern mich. Es ist die Angst, Michael zu verlieren, dass die Operation schief geht und es ist die Wut auf alles und jeden. Auch wenn mir mein Verstand sagt, beide Gefühle dürfen sein und völlig normal, hilft mir das nicht weiter. 

Ja, ich bin auch wieder wütend auf mich selbst. Weil ich so bin wie ich bin und nicht einfach ruhig akzeptieren kann. Ich kann es doch nicht ändern, wir haben unser bestmögliches getan, damit die Operation gut verläuft und der Krebs bald vergessen sein kann.

Ich möchte doch nur leben, mit Michael leben und so ein bisschen "normal" sein. Leider muss ich aber gerade erkennen, dass ich selbst wieder viele meiner Grenzen überschreite und Dinge tue, die mir nicht gut tun. Warum? 

Es reicht nicht, dass mich das Thema Prostakrebs runter zieht, nein ich setze noch einen drauf. Ich schaue und lese wieder viel zu viele Nachrichten. Mein Kopf fährt Amok, die Gefühle von Verletzbarkeit und Hilflosigkeit geben sich die Hand. Nein was in diesem Land los ist, kann ich nicht ändern. Warum tue ich mir das also an? Weil ich informiert sein will? Ich muss nicht informiert sein und schon gar nicht darüber was Politik und Medien, jeden Tag an neuen dämlichen Ideen, in die Welt posaunen und es sich gut gehen lassen, eine Greta gehuldigt wird und der Frust der Menschen diesen, den Verstand raubt und sie in die Arme der AfD treibt. Ich kann es nicht ändern. Ich muss es nicht wissen. Ich muss es nicht wissen, weil es mich verrückt macht. Meine Angst vor dem Leben noch verstärkt. Ich habe so die Nase voll und doch tue ich mir diesen  Politikkrempel an.

PTBS heißt Belastungsstörung - Symptome wieder verstärkt

Die PTBS ist in meinem Leben. Die Symptome verstärken sich derzeit wieder. Das ist normal, sagte gestern meine Psychiaterin. Gesunde Menschen sind mit so einer Diagnose schon tief getroffen, da ist es kein Wunder, dass sie, neben sich stehen. Aber sie sind stark. Sie stehen noch, sie sind hier.

 

Meine Symptome nehmen an Stärke zu:

  • Meine Leistungsgrenze ist sehr niedrig und sehr wechselhaft. Ich funktioniere irgendwie, mal besser und mal schlechter.
  • Meine Gefühle habe ich wieder verschlossen. Weder Freude noch Wut spüre ich, aber in meinen Worten sind sie zu hören, sagen andere. Ich selbst merke es nicht.
  • Ich bin teilnahmslos und jeder Schritt, jede Handlung ist schwer. 
  • Meine Skills, Imagination, Achtsamkeitsübungen oder Diskriminierung gelingen nicht. Selbst fotografieren ist kein Spaß. 
  • Meine Wut, die in der Traumabehandlung hoch kam, ist noch immer da. Ich habe das Gefühl, sie wird immer stärker. Woher sie kommt oder was der Grund ist, hat sich mir noch nicht erschlossen. Die Wut ist da, allüberall. 
  • Diese Angst im Rücken, auch sie ist noch da und das, in den unmöglichsten Momenten, dann wenn es gar keinen Grund gibt, weil niemand hinter mir ist.
  • Diese Gedanken "der nächste LKW ist meiner" sind auch wieder da. Immer mal wieder, ich bin nie sicher davor, auch wenn ich sie im Zaum halten kann und eine Dissoziation auf der Straße nicht vorgekommen ist.
  • Die Dissoziationen nehmen wieder zu. Einfach so und unangekündigt, sitze oder stehe ich da und bin im Nichts.
  • Die Schrei-Schreck-Attacken sind auch wieder da. Nicht zu häufig, aber sie sind wieder da.

Überleben und einen Schritt zurück

Meine Psychiaterin erinnerte mich gestern: "Was ihnen nicht gut tut, lassen sie bitte und hören sie auf sich selbst zu ignorieren".

Das ist ein Anfang. Auch wenn ich gerade nicht weiß, wie ich es machen soll und in der Lethargie gefangen bin, kann ich nur selbst dafür sorgen, dass es ein wenig besser wird.

Ich werde also Nachrichten, so gut es geht, wieder blockieren. Mich wieder ein Stück zurück ziehen. Auch wenn das Schneckenhaus nicht die Lösung ist, brauche ich es derzeit. Ich kann nicht mehr. Wenn wir den Prostatakrebs überstanden haben, wird es sicherlich auch wieder besser. Ich habe keine Lösung dafür, wie ich meine Angst und mein Gedankenkarussell (um den Krebs) beruhigen kann. Ich kann aber die Gedankenwirbel zu den politischen Dingen vermeiden. 

Wie ich lerne mit der Wut und der Angst im Rücken umzugehen, weiß ich nicht, jetzt aber daran zu arbeiten macht wenig Sinn, da beides durch die Krebsdiagnose noch verstärkt wird. Doch eins weiß ich, diese Wut gefällt mir nicht und ich glaube sie wird auch nicht von allein wieder verschwinden.

Ich akzeptiere wie es jetzt ist. Tage, an denen Termine sind, gebe ich meine letzte Kraft und danach falle ich zwei Tage völlig aus. Dann kommen ein oder zwei Tage "normalen" Lebens, um dann wieder im Nichts zu versinken. Das ist so. Aber ich lebe.