Leben so gut ich kann. Leben am Limit, in der Funktionsschleife und im Nichts. Ich bin so unheimlich müde vom Leben und doch will ich leben.

Leben so gut ich kann - Leben am Limit

Drei Monate ist es nun her, dass ich durch die Hölle ging und ein für mich emotional völlig überforderndes Jahr geht nun zu Ende. Ich habe es gemeistert. Ich habe überlebt. Ich habe es ganz allein geschafft. Kein Therapeut stand an meiner Seite. "Es war unverantwortlich, sie aus der Traumaklinik, bei dem Wissen um die schlimme Diagnose für ihren Mann, abzuweisen und zu sagen: Leben sie, ohne Therapie", habe ich mehrfach von meiner Psychiaterin gehört. Da auch sie im August schwer erkrankte, war ich bis zur letzten Woche, völlig auf mich selbst gestellt. Hätte ich nicht meine unglaublichen Nachbarn gehabt und Carola Briesemeister von Treffpunkt Psyche (https://www.freiraum-psychologische-beratung.de/), wüsste ich nicht wirklich, ob ich es geschafft hätte.

Es ist Weihnachtszeit und ich habe Mühe die Tage zu überstehen. Ich lebe so gut ich kann. 

"Du bist so wenig aktiv..."

Mein Mann macht sich gerade große Sorgen um mich. In einem Gespräch sagte er. "als du aus der Klinik entlassen wurdest, warst du so entschlossen und so gut drauf. Jetzt hast du dich wieder total zurück gezogen und bis sehr inaktiv. Vielleicht wäre es besser, ich würde zu Hause bleiben und dich animieren mehr raus zu gehen, mehr zu erleben...". Im Grunde wiederholte er nur meine Denkweisen. Denkweisen, die ich selbst hatte, mit denen ich mir selbst unendlich Druck mache und mich abwerten. Mir ist völlig klar, dass er es so empfindet und sich sorgt. Doch wir haben Beide dabei völlig aus den Augen verloren, wie dieses Jahr, nach meiner Entlassung im März, gelaufen ist, das die Krebsoperation erst drei Monate her ist und erst in der vergangenen Woche die Nachsorgeuntersuchung anstand. 

3 Monate nach der Krebsoperation

Am 04.09.2019 kam die erlösende Nachricht, die Operation hat den Krebs vollständig entfernt. Wir hatten einen Sechser mit Zusatzzahl gewonnen. Unglaublich. Es folgten 14 Tage zu Hause, mit all meinen Triggern, dem Pflegedienst und einem Mann der nicht wirklich mit Inkontinenz umgehen konnte und wollte. Der mit sich und der Welt nicht zufrieden war. Ich konnte seinen Frust mit Haut und Haaren spüren. Es auszuhalten hat mich sehr belastet und beansprucht. Erst meine klaren Worte zu diesem Thema machten es erträglicher. Ich musste den Alltag allein wuppten, wir mussten einiges umstellen und ich musste mich mit dem Pflegedienst auseinander setzen.

 

Dann kamen 6 Wochen Reha. Sie konnten meine schlechten Erfahrungen positiv überschreiben. Dieses Mal war alles anders. Es war ein wundervolles miteinander, trotz Entfernung. Ich freute mich über jeden Fortschritt meines Mannes und seine stetig steigende Lebensfreude. Dann war der Oktober auch schon vorbei. Mein Mann kam nach Hause voller Lebensfreude und Lebensaktivität. Und ich? Mein Körper verfing sich im Streik.

 

Ich konnte damit nicht wirklich umgehen. Ich fühlte mich so NICHTS, weil ich einfach nicht mithalten konnte. Ich war am Ende meiner Kräfte und ich wusste es. Doch jetzt aufgeben, kam nicht in Frage. Ich versuchte dieses negative Gefühl zu verdrängen und mich an seiner Lebensfreude zu erfreuen. Ich bin/war froh und dankbar, dass er so viel Aktivität und Freude versprühte. Doch meine Lebensfreude und Lebensaktivität hatten/haben sich versteckt. Es war November und bald war Weihnachten. Am 04.12.2019 folgte die Nachuntersuchung. Eine Woche später die Befundbesprechung, die eindeutig bestätigte, dass der Krebs völlig beseitigt ist und kein PSA-Wert zu finden war. Wunderbar. Ein Felsbrocken viel mir vom Herzen.

 

Es war ein Wunder und es war Wahrheit. Wir haben es erlebt. Dafür bin ich unendlich dankbar.

Ich bin nicht wenig aktiv

Die Zeit rennt und rennt. Ich lebe, wie in einem starken Gummiband gefangen, dass schon voll ausgedehnt ist. Trotzdem versuche ich immer weiter vorwärts zu gehen, mit dem dementsprechendem Kraftaufwand. Ich war/bin unendlich müde und erschöpft. Trotzdem gibt es immer wieder Herausforderungen, die ich nicht ablehnen konnte und wollte. Das ich mich damit selbst immer weiter überforderte, wurde mir gestern im Gespräch mit meinem Mann klar. Seine Worte: "du bist so wenig aktiv, ich mache mir Sorgen. Nach der Klinik warst du so gut drauf und jetzt ist es so, als müsstest du wieder in die Klinik", trafen mich hart. 

 

Ja, nach dem Klinikaufenthalt hatte ich positive Energie und 4 Wochen später kam einfach nur die Diagnose Prostatakrebs dazwischen und stellte mein Leben auf den Kopf, so wie das Foto im Beitrag. Kopfstand ist auf Dauer unerträglich, denn es ist wider der Natur. Wir hatten gemeinsam ein Scheiß-Angst.  

  • Alltagsaufgaben,
  • Termine bewältigen,
  • Ergotherapie,
  • ein Wochenende mit der Tochter und Enkelkindern aus Potsdam,
  • ein Wochenende mit meinem Sohn,
  • ein Wochenende in Guben bei der Tochter und den Enkelkindern,
  • Weihnachtsmarkt-Bummel,
  • Weihnachtsbummel in Seiffen,
  • Weihnachtsgarten Pillnitz,
  • Päckchen packen,
  • Wichteln in 2 Facebookgruppen,
  • ein Wochenende mit Tochter mit Enkelsohn aus Guben
  • dies und das und jenes,
  • Familien-Sorgen,
  • ... , das Leben nahm seinen Lauf. Nichts Besonderes und doch so besonders. 

Nein ich bin nicht wenig aktiv. Ja, ich bin antriebslos, unendlich müde und erschöpft. Ich sehne mich unendlich nach Ruhe und nach einfach mal Nichts und doch ist jede Woche immer irgendwas, was dazwischen kommt. Selbst die Ergotherapie ist gerade keine Entlastung. Päckchen packen und wichteln sind in diesem Jahr keine Freude, sondern nur anstrengend. Weihnachtsmarktbesuche lassen mich nicht in Weihnachtsstimmung kommen.

Irgendwie funktioniere ich, um dann wieder völlig ins Dunkle zu fallen. Meine Tage sind eine Achterbahnfahrt im Wechsel von Tagen völlig ohne Schlaf, Tagen im Funktionsmodus und Tagen die ich völlig verschlafe. Ich lebe so gut ich kann und das ist gerade nicht mehr viel. Ich bin unendlich müde, müde vom Leben, aber nicht lebensmüde.

"Mich wundert es nicht, dass ihr Körper streikt. Bedenken sie mal, was sie alles gemeistert haben. Wenn es mit dem Schreiben nicht klappt, dann liegt es daran, dass selbst damit, ihr Körper und ihre Seele überfordert ist. Sie aber immer noch fordern. TUN SIE EINFACH MAL GAR NICHTS!" Worte meiner Psychiaterin. Ich gehe aus der Sprechstunde heraus und denke: Ich tue doch schon seit Wochen gar nichts. Es muss doch endlich mal wieder besser werden. Das diese Gedanken nicht der Wahrheit entsprechen wurde mir gestern, im Gespräch mit meinem Mann, klar.

 

Was ist Nichts? Wenn ich mir nur die gerade aufgeschriebene Liste anschaue und mit dem dazu gehörigen Zeitplan überdenke, dann ist NICHTS, ganz schön viel. Das NICHTS ist eine Belastung, die ich nicht mehr lange durchhalte. Das ist mir völlig klar. Und doch ist da mein schlechtes Gewissen. In unserem Gespräch ist uns Beiden klar geworden, was für einen Gewaltakt an "einfach nur Leben" ich gemeistert habe. Ich habe überlebt. Jetzt muss!!! Zeit für NICHTS, für wirklich nichts sein. 

 

Ich akzeptiere, dass ich nicht alles fühlen oder genussvoll erleben kann. Ich bin dankbar, für die schönen Momente und Stunden in der Familie. Für die wunderbar warmen und leuchtenden Augen der Kinder und Enkelkinder. Für die wunderbare Freude der Kinder über die Geschenke, für ihre warme Umarmung. Es ist so viel was ich habe und alles andere kommt, wenn es soweit ist. Ich möchte einfach nur Ich sein und endlich meine Anspannung minimieren. Leben im Gummiband ist nicht schön. Ich möchte meine Sehnsucht nach Ruhe und Stille stillen. Leben mit meinem Mann und dankbar sein für jeden neuen Tag mit ihm gemeinsam. Es kann so schnell vorbei sein, dass haben wir in diesem Jahr erlebt und manchmal braucht es Worte, eine Gespräch um uns dessen wieder sehr bewusst zu werden, was wir geleistet haben. Leben so gut wie ich kann.