Ich hänge in den Seilen. Mein Körper schreit nach Ruhe und die Seele weiß nicht mehr weiter

In den Seilen hängend

Das ist mein absolutes Lieblingsfoto, welche beim Fotoshooting für die Zeitschrift "Psychologie Heute" entstand. Für mich zeigt es mich, wie ich bin. Auf der Suche nach dem Licht. Aus dem Dunkel in das Licht sehend. Fragend, wie es weiter geht. Erfreut über die warmen Strahlen in meinem Gesicht. Ein wenig lächelnd. Ein wenig nachdenkend. Ein wenig Dankbarkeit. Ein wenig Achtsamkeit. Ein wenig besorgt. Ein wenig ängstlich. Von allem etwas. Da ist das Licht, dass auf mich scheint. Auch dann wenn ich gerade wieder einmal in den Seilen hänge.

 

Ich habe das Jahr 2019 geschafft. Es liegt hinter mir. Es ist Vergangenheit. Ich hatte einen schönen Jahresabschluss am Meer. Aber auch Urlaub ist anstrengend. Selbst dann, wenn ich aufpasse und mich nicht überfordere. Der Funktionsschalter in meinem Kopf tut seine Arbeit, aber wenn die Batterien leer sind, dann ist Ende. Ich fühle mich noch immer müde, kraftlos und ... Das Leben ist zu schwer für mich.

 

Ich habe gedacht, wenn mit meinem Mann alles überstanden ist, dann wird es auch mir besser gehen. Ich habe mich geirrt. Die Zeit der Protatakrebsdiagnostik und Operation hat mir alles und viel mehr abverlangt. Ich brauchte alle meine Reserven, um diese Zeit zu meistern. Jetzt wo es vorbei ist, reagieren Seele und Körper.

Ich funktioniere nur noch, wenn ein Termin oder Besuch ansteht. Danach versinke ich wieder im Nichts. Meine Seele schreit nach absoluter Stille und Ruhe, die sie nicht bekommt. Ich habe so viele Gedanken in mir, dass ich es nicht schaffe, diese zu sortieren und aufzuschreiben. Mein Kopf ist übervoll, die Nerven surren in ihren Bahnen und manchmal denke ich, hau gegen die Wand damit Ruhe ist. Mein Körper schreit dazu und reagiert sich ab.

Immer wieder kehrende Entzündungen in Nase und Ohren, die schmerzhaft sind. Atemnot und Schmerzen in der linken Brust. Ganzkörperliche Ausfälle sind wieder da. Dissoziationen sind häufig. Ich bin oft zu schwach für wirklich alles. Jeder Schritt ist körperlich Höchstanstrengung. Die Last auf meinen Schultern drückt mich nieder und schmerzt.

Noch immer sitzt mir der Schreck in den Gliedern, als ich an Silvester, am Strand, nach einem Foto aus der Hocke, nicht aufstehen konnte. Ich war nicht in der Lage und hatte Mühe den Körper gerade zu halten, nicht um zu fallen. Mit einem Zeichen an meinen Mann, in der Ferne, konnte ich meine Hilflosigkeit äußern. Er musste mich, mit all seiner Kraft hoch ziehen, ich hatte keine. Ich war ein Mensch aus Watte. Noch einmal machte ich keinen Versuch aus der Hocke zu fotografieren. Die Angst saß tief.

 

Es ist kaum noch auszuhalten und ich wünsche mir nichts sehnlicher, als einfach ein paar ruhige Tage.

 

Nun war ich bei verschiedenen Ärzten. Blutdruck, EKG, Herzultraschall und Blutentzündungswerte sind alle ohne Befund. Es ist nichts zu finden. Termin beim Neurologen und Lungenfacharzt stehen noch an. Doch schon regen sich meine Widerstände. Es ist nichts zu finden, du bildest dir das alles nur ein. Ich bin doch kein Hypochonder und will keiner werden. Ich kannte bisher keine Psychosomatischen Körperbeschwerden. Das ist neu für mich und macht mir Angst. Ich bin so fertig, dass die Psyche sich nun noch den Körper sucht, damit ich ihr endlich Ruhe verschaffe. Doch wie soll das gehen. Ich bin ratlos.

 

Gestern erst war Weihnachten. Vier Wochen Zeit um auszuruhen, bis ich unser jüngstes Enkelkind in Mainz besuchen werde. Ich freue mich so sehr darauf. Doch nun stelle ich fest, vier Wochen sind fast vorbei. Schon ist der Januar fast Vergangenheit und ich? Ich sehne mich noch immer nach Stille und Ruhe, nach gar nichts tun.

Eine furchtbares Ereignis in der Familie steht seit Dezember schweigend über uns allen. Es darf niemand wissen. Doch totschweigen kann man diesen Vorfall nicht. Mich jagen die Gedanken, sie drehen sich im Kreis, sie fahren Achterbahn. Es macht mich verrückt. Wie lange noch halte ich das aus? Ich will nicht schweigen. Ich kann nicht schweigen.

 

Ich wünsche mir nur Stille und Ruhe. Nicht mehr in der Achterbahn der Tage leben. Nicht mehr an wenigen Tagen, die letzte Energie aus den leeren Batterien herauspressen. Nicht mehr, nach einem Tag der gut war, am nächsten Tag wieder zu Nichts in der Lage sein. Tage, an denen ich mich nicht einmal wasche, nicht kämme und kaum aus dem Bett komme. Schlafen, schlafen, nichts sehen, nichts hören, nichts sagen. An manchen Tagen kann ich schlafen. An anderen Tagen ist daran nicht zu denken, meine Gedankenkreisel machen mich verrückt. 38 Stunden ohne Schlaf folgen. Um dann wieder Tagelang zu schlafen. Dazwischen könnte noch ein Tag sein, mit Termin, an dem ich funktioniere. Nein Leben ist das nicht. 

 

Ich hänge müde und kraftlos in den Seilen. Wie lange noch. Hat es denn niemals ein Ende?