Ich kann nicht so sein, wie du es forderst. Ich will nicht so sein, wie du es forderst.

Ich kann nicht so sein, wie du es forderst

Ein fürchterliches Ereignis in der Familie warf mich aus der Bahn. Nicht nur das Ereignis selbst, sondern auch der Umgang damit. Dieses fürchterliche Schweigen in der Familie. Diese ausgesprochene Notsituation der ganzen Familie brachte mich an den Rand meiner Kräfte. Ich wusste nicht mehr wirklich ob ich lebte oder schon tot war. Ich hangelte mich über die Tage. Alles war schwer, selbst das aufstehen am Morgen. Manche Tage wusste ich nicht einmal wo die Zeit geblieben war, wenn mein Mann abends nach Hause kam. Ich igelte mich wieder ein, ging nicht aus dem Haus. Arzttermine schaffte ich mit Mühe und Not, mehr war nicht möglich. Alles war körperlich wie psychisch wie ein Marathonlauf. Ich schlief tagelang, um dann wieder tagelang ohne Schlaf zu sein. Meine Gedanken fuhren ununterbrochen Achterbahn, selbst dann, wenn ich mich stur auf etwas anderes konzentrieren wollte. Manchmal dachte ich, ich werde verrückt. Meine Nerven surrten und zerrten im Kopf unaufhörlich. Dazu kamen nun auch psychosomatische Beschwerden, die mir Angst einjagten. 

Ich weiß nicht wie ich meine Medis eingenommen habe, irgendwann vergaß ich sie ganz. Das verschlimmerte meinen Zustand um ein Vielfaches. Ich kam mir schon wie ein Hypochonder vor, denn die Ärzte fanden keine körperlichen Gründe. Atemnot, Schmerzen im linken Schulterbereich, beständiges Unwohlsein, Erbrechen, Dissoziationen, Schwächeanfälle, körperliche akute Schwäche und Müdigkeit, nahmen mir die Kraft für die alltäglichsten Aufgaben. Alles blieb liegen bzw. erledigte mein Mann. Selbst unser Urlaub war nicht wirklich eine Erholung für mich. Die Erinnerungen sind längst verblasst.

 

Ich kann nicht reden, aber schreiben

In dieser Situation tat ich eines. Ich sorgte trotz allem für mich. Ich versuchte die Familie aus dem Schweigen heraus zu bringen, zusammen zu bringen und für mich selbst die Situation zu realisieren. Da ich, riesige Probleme mit dem telefonieren habe, Auseinandersetzungen nicht standhalten kann, tat ich das was ich kann. Ich schrieb meine Gedanken, Gefühle und Sichtweisen auf und sendete sie an unsere Kinder. Ich hoffte sie würden meine, gut überlegten Worte verstehen und wir könnten in dieser furchtbaren Notsituation zusammenstehen, gemeinsam überlegen wie wir damit umgehen. 

 

Natürlich war ich unsicher, wusste nicht wie ich meine Gedanken aufschreiben sollte, so dass sie ohne Schuldzuweisungen und Vorwürfe ankommen würden. Ich drehte meine Sätze hundertundein-mal hin und her. Ich vertraute mir selbst so wenig, dass ich meine Freundin und meine Therapeutin um Hilfe bat. Ich bat sie mir zu sagen, was sie in meinen Worten lasen, ob ich diese so an meine Kinder richten konnte. "Du hast absolut keinen Grund, Deine Sichtweise abzusichern", "ich habe klar gespürt, wie intensiv die Gedanken und Gefühle in Dir arbeiten, wie sehr Du kämpfst mit dem was gerade abläuft", "grundsätzlich merkt man natürlich Deine große Betroffenheit und das soll auch so sein". Antworten die mich bestärkten die richtigen Worte gewählt zu haben. Natürlich war ich mir bewusst, dass meine Worte nicht jedem gefallen würden, aber mit dem was folgte hatte ich nicht gerechnet. 

 

Ein Treffer von der falschen Seite

Eine niederschmetternde Reaktion der ältesten Tochter meines Mannes, war ein Angriff von der falschen Seite. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass ausgerechnet diese Tochter so ungehalten, die eigene Verantwortung um sich werfend, reagierte. Es war auch nicht nur ihre Reaktion auf das eigentliche Thema, was mich fassungslos machte, mich im Herzen traf. Es waren ihre Forderungen an mich, ihre Selbstverständlichkeiten und ihrer Sicht auf meine Person. Sie erwartet von anderen, dass auf sie zugegangen wird. Sie selbst muss nicht anfragen oder nachfragen. Für sie ist es selbstverständlich, dass ihre Erfahrungen und Sichtweise richtig sind und daher ist Kritik bei ihr völlig fehl platziert. Sie macht keine Fehler, nein dafür sind andere verantwortlich.

 

Sie und ihr Mann griffen mich direkt an, in dem sie sich sarkastisch auf meine psychischen Probleme bezogen und mir sagten: "ich lasse mich nicht auf deine Rhetorik im Gossen-Niveau herab". Sie stellten unerbittlich ihre Forderungen auf. Sie bestand darauf, wenn ich mit ihr reden wolle, dann sollte ich telefonieren oder zu ihr kommen. Meine Worte in schriftlicher Form waren inakzeptabel. 

Meine Krankheit und die damit verbundenen Einschränkungen, die offensichtlich und bekannt waren und sind, hat sie einfach negiert. Es fielen die Masken und ich wurde mir sehr klar, dass alles was ich bisher von der ältersten Tochter meines Mannes wusste, eine Lüge war. Sie hatte keinem meiner Worte jemals Bedeutung beigemessen. Hatte mich an der Seite des Vater nur akzeptiert, nicht aber respektiert. Sie hatte meine Krankheit nie als wirkliche Krankheit empfunden. Nein, ich hatte bei Besuchen ja nur rumgesessen und war wenig aktiv. 

 

Heute bereue ich, dass ich so manches mal mitgefahren bin, wenn es mir nicht gut ging. Ich das Wochenende all meine Kräfte zusammen nahm, damit ich auch ein paar schöne Stunden mit unseren Enkelkindern erleben konnte. Auch wenn das für mich hieß, dass hinterher mehrere Tage gar nichts ging, mich die Depression völlig im Griff hatte. Hätte ich von ihren wirklichen Gedanken und Sichtweisen auf mich gewusst, hätte ich ihr meine Anwesenheit gern erspart. Nicht weil ich mich dafür schäme, nein weil ich mit solchen Menschen keine Zeit verbringen möchte. 

 

Stigmatisierung

In einer Notsituation siehst du wer zu dir steht. Genau so ist es. Ich habe es wieder einmal erfahren. Es tut weh, aber es ist gut so.

Ich habe wieder einmal erfahren, dass Menschen die mit psychischen Beeinträchtigungen leben, stigmatisiert und ausgegrenzt werden. Das psychische Probleme nicht wirklich anerkannt werden, selbst wenn die Menschen eine gute Ausbildung haben. Leider.

 

 

Trotz meine psychischen Beeinträchtigungen haben ich in der Notsituation, im Rahmen meiner Möglichkeiten, Verantwortung übernommen und nicht aufgegeben. Ich bin psychisch beeinträchtigt, nicht aber geistig.

 

"Enttäuschung ist nur dort möglich, wo Täuschung bestanden hat! Deshalb ist Enttäuschung so schmerzlich sie auch sein mag, ein Schritt der Wahrheit entgegen, eine wertvolle Befreiung von Irrtum und Illusion".  Ein Zitat, das ich irgendwo auf Facebook gefunden habe, dass mir aus dem Herzen spricht.

Es hat mich erleichtert und beruhigt, zu wissen wie diese Tochter meines Mannes über mich denkt. Ich konnte eine klare Entscheidung für mich selbst treffen, ohne schlechtes Gewissen. Ich habe meine Erkenntnisse aus dieser schmerzlichen Erfahrung gesammelt. Wieder etwas dazu gelernt.

Inzwischen bin ich so stark, dass ich keine Maske brauche, sage was ich denke und nicht aufgebe, wenn der Gegenwind heftig ist. Auch wenn ich nur schreiben kann, kann ich doch meinen Gedanken und Gefühlen Ausdruck verleihen.

Ich bin mir sehr bewusst geworden, dass ich meine Sensibilität nicht missen möchte, auch wenn sie gegen mich verwendet wird. Das habe ich schon oft erlebt und heute kann ich damit umgehen. Das heißt, ich kann solche Menschen aus meinem Leben verbannen. Ich muss sie nicht mehr ertragen. Ich habe keine Zeit mehr für solche Menschen.

Ich habe keine Lust mehr, so zu sein wie andere mich gern hätten oder zu tun was anderen fordern, nur um ihre Anerkennung zu erhalten. Ich verzichte gern darauf. 

 

"Ein Weiser sprach: Die wichtigsten Menschen sind nicht die, die den Kopf voller Wissen haben... Es sind die, die ein Herz voller Liebe haben, Ohren, die bereit sind zuzuhören und Hände, die bereit sind zu helfen". Noch ein  Zitat-Fund, welches ich bestätigt fand. Was nutzt die ganze gute Ausbildung, wenn es an Empathie fehlt. Nichts. 

Ich möchte nicht so sein, wie du es forderst.