Psychisch Kranke sind labil. Was ist labil? Labil, ein Wort kann so viel bedeuten. Es ist negativ besetzt und wird missbräuchlich verwendet.

Psychisch krank = labil!?

Immer und immer wieder werden psychisch kranke Menschen als labil bezeichnet. Es sind labile Menschen, die psychisch krank sind.

 

Alles klar.

 

NEIN! Es ist nicht alles klar!

 

Labile Menschen sind nicht unbedingt psychisch krank und psychisch kranke Menschen sind nicht labil.

 

Labil ist das EINE und psychisch krank das ANDERE!

Labil - Definitionen

Der Duden schreibt:

Labil:

  1. nicht fest gefügt, sondern zur Veränderung, zur Schwankung neigenden, unbeständig, leicht störbar
  2. (Medizin) zu Störungen, Krankheiten neigend, schwankend, auffällig
  3. (Psychologie) leicht das psychische Gleichgewicht verlierend, Stimmungen unterworfen, nicht in sich gefestigt.

Das Psyche-Lexikon schreibt:

Wer ist psychisch labil?

  1. Emotional labile Menschen leiden unter sehr häufigen Stimmungsschwankungen und geraten schnell aus ihrem seelischen Gleichgewicht. Es fällt ihnen schwer, ihre Gefühle und Reaktionen zu kontrollieren. Mit Misserfolgen können sie nur sehr schwer umgehen. 
  2. Psychisch instabile Menschen leiden nicht selten unter Angst und neigen zu Depressionen.
  3. In vielen Fällen gehen die psychischen Probleme mit körperlichen Beschwerden einher. Dazu gehören unter anderem Spannungskopfschmerzen (Migräne), Verdauungsprobleme, Schlafstörungen und Hautirritationen. Emotional labilen Menschen fällt es schwer, sich in neue bzw. ungewohnte Situationen hineinzufinden, und auch ihre sozialen Beziehungen gestalten sich oft schwierig.

Textquelle: https://diepsyche.de/lexikon/psychische-labilitaet/

 

Labil = Abwertung

Wenn ich diese beiden Definitionen lese, ist mir vollkommen klar, warum psychisch Kranke als labil bezeichnet werden. Rein fachlich, gibt es daran auch nichts zu deuten. Menschlich hingehen, habe ich ein riesiges Problem damit.

 

Warum?

  • Labil wird, zwischenmenschlich stets negativ besetzt verwendet.
  • Labil wird abwertend benutzt.
  • Labil ist außerhalb der "Normalität" - z.B. dumm, begrenzte geistige Fähigkeiten, begrenzte Leistungsfähigkeit im Sinne der geforderten (überforderten) Arbeit, anderer Lebenseinstellug  ...
  • Labil wird zu oft, für alles verwendet was anders ist.
  • Labil gehört zur Stigmatisierung von psychisch kranken Menschen.
  • Labil wird verwendet, wenn der Mensch nichts anderes weiß, aber unbedingt eine Erklärung benötigt.
  • Münster: es kann nicht einfach ein Mensch sein, der beschlossen hat zu töten. Nein es kann nur ein psychisch labiler Mensch sein, der so etwas tut. Wie blöd ist diese Welt?
  • Suizid wird von labilen Charakteren verübt.

Es gibt sehr viele labile Menschen. Viele von ihnen sind psychisch völlig gesund. Sie gehen durch ihr Leben, arbeiten, leben in Beziehungen oder auch nicht, leben ihre Stimmungsschwankungen, sie bestimmen ihren Lebensweg selbst, mehr oder weniger. Natürlich stoßen sie auf viele Hindernisse und stolpern über "Kleinigkeiten", aber sie gehen weiter und versinken NICHT im Strudel der Depressionen.

 

Ich bin NICHT labil!

Ich bin depressiv, weder geistig behindert noch labil. Ich bin krank und damit sehr begrenzt in meiner Handlungs-, Leistungs- und Entscheidungsfähigkeit. 

 

Ich bin mein ganzes Leben lang, ganz sicher, kein labiler Mensch gewesen. Ich hatte eine klare Struktur, war immer pünktlich, habe mich immer eingeordnet, habe immer volle Leistung erbracht, habe engagiert gearbeitet, war engagiert Mutter, habe mich stets in alle Situationen hinein gefunden und diese gemeistert, habe andere Menschen gefördert und ihnen geholfen, habe mit voller Kraft das Leben gemeistert. Ich war ein "voll integrierter arbeitsamer und leistungsorientierter" Mensch. So wie sehr viele andere psychisch kranke Menschen, die ich getroffen habe. Das Leben hat mich zerstört, weil ich nicht für mich gesorgt habe und bitteschön niemals als labil und unperfekt gelten wollte. Wie dumm ich war.

 

Heute ist mein Leben völlig anders. Ich bin nicht perfekt, kann es nicht, muss es nicht und WILL ES NICHT! Ich bin psychisch krank und damit beeinträchtigt bzw. behindert! Ich bin im Sinne der "Normalität" nicht leistungsfähig und nein, ich bin nicht arbeitsfähig. Na und? Ich definiere mich nicht mehr über die Leistungsfähigkeit - Arbeitsfähigkeit. Ich bin ein Mensch, der trotz seiner Behinderung, sein Leben meistert und nicht aufgibt. Wäre ich labil, dann würde ich heute nicht an der Stelle, auf meinem Weg stehen, wo ich jetzt bin. Mir wäre es auch völlig egal, ob das labil ist oder eben nicht. 

 

Ich bin nicht labil!

Ich bin entsprechend meiner Leistungsfähigkeit fähig, meinen Alltag und das Leben zu meistern.

 

Gesunde Menschen können sich nicht vorstellen:

  • wie es ist, jeden Tag um ein klein wenig "Normalität" zu kämpfen.
  • was ein psychisch Kranker alles lernen, begreifen, verarbeiten, beachten und immer wieder üben muss, damit er jemals wieder ein "normales" Leben führen kann.
  • wie viel Kraft und Geduld es braucht, jeden Tag an sich selbst zu arbeiten, zu üben, sich zu überwinden, zu kämpfen, seine Gedankenstrudel, Selbstvorwürfe und Selbstzweifel zu bearbeiten, immer und immer wieder und dabei nicht den Lebensmut zu verlieren.
  • wie viel Geduld und Kraft es kostet, den Tag, Probleme und die Therapie zu bewältigen.
  • welche Leistung es ist, dabei noch voll in die Familie, Kinder, Arbeit oder Pflege von Angehörigen eingebunden zu sein.
  • wie es ist, immer wieder mit der Nase in Vorurteile, negative Bewertungen und Abwertungen getunkt zu werden.

Diese Menschen verdienen vollen Respekt. Nein, wir sind nicht labil, denn dann könnten wir das alles überhaupt nicht bewältigen. Viele von uns sind stärker als "normale" gesunde Menschen, weil sie um JEDEN Schritt kämpfen und das Tag für Tag. 

 

Psychotherapeuten die verpönten Helfer im Alltag

Ich kämpfe seit nun schon 7 Jahre. Ich habe die Nase voll, von dieser Gesellschaft, der Politik und von Menschen die ohne nachzudenken handeln und urteilen - verurteilen. Ich sage was ich denke und ich wehre mich auf meine Weise, gegen Urteile, Verurteilungen und Stigma. So auch gegen un-durchdachten Wortgebrauch. Ich weiß ich kann die Welt nicht verändern oder retten. Das ist auch nicht mein Anspruch. Ich kann aber anderen Betroffenen Mut geben.

 

Ich kann Gesunde aufmerksam machen und vielleicht zum nachdenken anregen. Damit wäre schon viel erreicht.  Ich habe nicht den Anspruch, dass gesunde Menschen, verstehen was in einem Menschen vorgeht, der psychisch krank ist. Das kann er nicht. Ich verstehe mich ja selbst nicht. Wir denken uns nichts aus, wir übertreiben nicht, wir jammern nicht, wir sind nicht faul oder labil. Wir sind starke Kämpfer, jeden Tag. Ich möchte einfach nur Akzeptanz und Respekt für psychisch kranke Menschen erreichen.

 

Würden die Menschen begreifen, das Psychiater und Therapeuten keine Monster sind und da "nur Durchgeknallte" hingehen müssen, wäre es endlich ein Schritt in die richtige Richtung und so viele Dinge vermeiden. 

Psychotherapeuten sind Helfer im Alltag, und könnten vielen Menschen frühzeitig (Kindesalter) helfen. Ihnen helfen Selbstwertgefühl und Stabilität im Handeln zu erlangen, um  so das Leben oder Krisen zu erleichtern und psychischen Erkrankungen vorzubeugen.

 

Es muss Veränderung erfolgen, in der Gesellschaft, in der Politik und in den Denkweisen der Menschen gegenüber psychisch Kranken Menschen. Das Thema braucht Öffentlichkeit.

Also dann ...