Für diesen Text habe ich ein Foto meines kleinen Lebensretters ausgesucht. Mein Sohn, der heute erwachsen und ebenfalls psychisch krank ist.
Zum Zeitpunkt meines Suizidversuches war ich im 7. Monat schwanger mit ihm. Erst auf den Bahngleisen, erst durch seine festen Tritte in meine Rippen, richteten sich meine Gedanken auf ihn und auf das Leben! Wir haben überlebt.
Ich war so wahnsinnig jung. 22 Jahre und ich hatte gerade mein Kind verloren. Ich lebte in einer Hölle, die man Ehe nennt. Erlebte körperliche und psychische Gewalt.
Lebte ich? Nein, ich überlebte jeden Tag aufs Neue. Ich lebte für mein Kind. Ich tat alles nur mögliche, um meinem Mann keinen Grund zu geben, auf mich los zu gehen. Er brauchte keinen Grund. Auch das nun zu erwartende 2. Kind änderte nichts. Wie ich lebte wusste niemand. Es war mir peinlich es zu erzählen, da ich ja eh immer selbst Schuld war und nichts richtig machen konnte.
Ja, ich habe einen Suizidversuch unternommen. Ich war 22 Jahre alt und ich wollte sterben.
Ich ging auf die Gleise und wartete auf den Zug, der nicht kam. Mein ungeborener Sohn rettete mich. Ich habe überlebt und ich bin zufrieden mit meinem Leben. Ich bin dankbar, dass ich lebe.
Heute habe ich ein Interview zum Thema Suizid gegeben. Es war ein ruhiges und gutes Gespräch. Ich habe offen erzählt, was der Krise vorausging, was in der Krise genau geschah, was danach passierte und wie es mir heute geht.
Ich bin dankbar dafür, dass Jana Hauschild mich für ihren Beitrag ausgewählt hat. Die Fachzeitung möchte einen Beitrag, in dem Fachleute und Betroffenen zu Wort kommen, veröffentlichen. Das Thema Suizid aus der Tabuzone zu holen.
Das kann ich nur unterstützen, denn ich bin dafür, dass endlich darüber gesprochen wird.
Das Thema betrifft Menschen in absoluten Lebenskrisen, Menschen mit Depression! Das Thema muss raus in die Öffentlichkeit, damit Menschen begreifen, dass die Depression eine tödliche Krankheit ist. Es muss raus in die Öffentlichkeit, damit Suizide verhindert werden können, weil Betroffenen-Berichte zeigen, wie sie überlebt haben und das Leben heute positiv gestalten. Dass sich das Leben zum Guten wenden kann. Ich weiß es!
Lieber Uwe,
vielleicht gelingt es mir nun endlich wirklich ein los zu lassen. Deine Entscheidung wirklich anzunehmen und mir ein Stück Last, von den Schultern, zu nehmen.
Heute habe ich ein erstes (telefonisches) Gespräch zu einem Interview: Thema Suizid. Ich war mutig und habe die Anfrage angenommen. Warum? Keine Ahnung.
Vielleicht, weil ich heute weiß, hätte ich 1983 deine Möglichkeiten gehabt, wäre ich auch tot. Dann hätte ich die vielen schönen Erlebnisse nicht fühlen, sehen und hören können. Ich sehe in dein Gesicht und sehe deinen Unglauben. Ich sehe dich grinsen und höre dich lachen. Ich höre dich sagen: Ausgerechnet DU willst mir das sagen.
Ja! Ich will dir das sagen! Tod sein, ist KEINE Lösung!
Obwohl ich schon sehr früh, meine Familie gewarnt hatte, offen ausgesprochen hatte, was für mich offensichtlich war, machte ich mir Vorwürfe. Vorwürfe nicht deutlicher gesprochen zu haben, nicht auf den Tisch gehauen zu haben, als ich ausgelacht wurde und dumme Bemerkungen kamen.
Damals als alles begann. Vielleicht ...
Das Thema Suizid ist derzeit wieder in der Öffentlichkeit. Eine Amokfahrt in Münster ist der Grund. Die Medien überbieten sich gerade wieder gegenseitig, möglichst viel über die Tat und den Menschen zu veröffentlichen. Dabei geht nicht um den Menschen, auch nicht um das Thema Suizid oder Depressionen. Es geht um Schlagzeilen. Als erstes war es ein Ausländer. Hier hat zum Glück die Polizei Münster sofort einen Riegel vorgeschoben und sich darauf berufen, erst an die Öffentlichkeit zu gehen, wenn gesicherte Kenntnisse über den Täter vorliegen. Oh mein Gott und dann war es ein Deutscher. Es konnte aber nicht dabei bleiben, dass es ein Deutscher war.
Nein, sofort wurde die Psychokeule geschwungen. Er war psychisch labil und auffällig. Kein Wunder also, dass er Amok gefahren ist, konnte ich zwischen allen Meldungen der Medien heraus hören. Nein es wurde nicht gesagt, er litt an Depressionen. Er war psychisch labil! Obwohl dementiert wird, dass der Suizid vorhersehbar war, lese ich überall etwas anderes.
Kein Wort darüber, dass es psychisch Kranke in diesem Land sehr schwer haben überhaupt Hilfe zu finden, wenige Worte darüber dass er Hilfe gesucht und nicht gefunden hat, kein Wort zu der unhaltbaren Situation von viel zu wenigen Psychotherapeuten und Psychiatern. Kein Wort von den oft monatelangen Wartezeiten auf eine Therapie, trotz schwerster Diagnose. Kein Wort darüber, dass selbst medizinisch ausgebildetes Personal psychische Krankheiten einfach negieren, sich nicht einmal darüber informieren. Nein, dass alles ist keine Schlagzeile wert.
„Die Zahl der Selbstmorde ist seit den 80er Jahren kontinuierlich gesunken, trotzdem sterben in Deutschland nach wie vor deutlich mehr Menschen durch Suizide als durch Verkehrsunfälle, Mord, illegale Drogen und Aids zusammen.
Laut offizieller Statistik nehmen sich jedes Jahr ca. 10.000 Menschen das Leben, weitere 100.000 versuchen es – seit 2010 steigt die Tendenz wieder leicht.“
„Das bedeutet, dass sich alle 53 Minuten ein Mensch das Leben nimmt.“
Textquelle: www.fuerstenberg-institut.de
Da kämpfe ich seit über sechs Jahren gegen meine Depression. Finde den Weg in die Traumatherapie und endlich geht es vorwärts. Endlich schaffe ich es, an guten Tagen, in der Stadt zu bummeln, ausgedehnte Strandwanderungen zu machen, auf Berge zu steigen... Endlich habe ich wieder ein wenig Leben.
Da kommen diese Suizid - Gedanken kraftvoll daher und wollen mein Leben beenden.
Eine grauenvolle Erfahrung. Sie lässt mich gerade nicht los. Meine Gedanken drehen sich im Kreis. Ich war immer froh, keine Suizidgedanken zu haben, also auch sicher zu sein. Mein Gefühl der Sicherheit ist nur sehr beeinträchtigt.
Ich, ja ich, die unbedingt leben will, Ich habe Suizidgedanken.
Ich lernen, nehme jede Hilfe an, die ich bekommen kann, ich übe und übe und gebe nicht auf, weil ich irgendwann wieder fröhlich leben möchte. Scheiße! (Verzeihung) Trotzdem kommen diese Suizidgedanken zum mir. Was wollen sie bei mir, sie sollen doch bitte bleiben wo der Pfeffer wächst.
Damals,
als ich weinend über die Bahngleise irrte,
Gott mir keinen Zug schickte,
es war niemand da der mich hielt,
sehnte ich mich nach dem Ende,
dann wär alles vorbei.
Doch da war das neue Leben in mir,
es strampelte und klopfte in meinem Bauch,
es wollte leben, es sollte leben, ich wollte leben.
Und wieder einmal hatte er mich vor seiner Nachtschicht geschlagen.
Geschlagen wofür?
Dafür das ich lebte? Dafür dass ich da war?
Dafür das ich einen Fehler gemacht hatte?
Nein, einfach so, weil ich es verdient hatte.
Weil ich in seinen Augen, sein Kind ermordet hatte.
Ich war verloren in meinem Leben.