Ich bin ein Mutmacher bei Mutmachleute.de

Ich bin ein Mutmacher bei Mutmachleute.de

Betroffene: Heike Pfennig

Jahrgang: 1961

 

Diagnosen: Mittelgradige Depression, Posttraumatische Belastungsstörung, Angststörung, soziale Kontaktstörung, dissoziative Störung

 

Therapien: Psychiatrie, Psychiatrische Tagesklinik, Verhaltenstherapie, stationärer Aufenthalt in einer Traumaklinik, ambulante Traumatherapie, stationärer Aufenthalt in einer Traumaklinik

 

Ressourcen: Familie, Freunde, Wandern, Fotografie, Meer 

Wie und wann hast du von deiner Störung erfahren?

Ich füllte mehrere Test-Fragebögen zur Depression ehrlich aus und fiel knallhart durch. Meine Hausärztin bestätigte die Diagnose Depression. Alle weiteren Diagnosen erhielt ich über die behandelnden Psychiater. Erst 2016 kam die Diagnose Posttraumatische Belastungsstörung dazu.

 

Warum hast du dich entschieden, nun Gesicht zu zeigen?

Für mich entscheident war, dass ich meine alte Welt hinter mir / verlassen hatte. Es bestand keine Existenz- oder Mobbinggefahr mehr. Andererseits erlebte ich selbst, wie Stigmas Betroffene verurteilten. Wer, wenn nicht wir Betroffenen können erzählen, was die Krankheit mit uns macht. Erzählen kann ich nicht, aber schreiben. Ich schreibe, um meine eigenen Gedanken zu sortieren und zu reflektieren. Wenn ich damit auch anderen Betroffenen und Angehörigen zeigen kann, dass sie nicht allein sind und ihnen nur etwas Lebensmut geben kann, ist alles gut.

 

Wie hat dein Umfeld reagiert, als es von deiner Krankheit erfahren hat, und welchen Umgang würdest du dir von deinem Umfeld in Bezug auf deine Störung wünschen?

Einige wenige waren entsetzt, dass ausgerechnet mir das passiert. Ich, die Starke, fiel einfach um. Ansonsten war es einfach so, dass ich nicht mehr da war für mein Umfeld und die Welt sich trotzdem weiter drehte. Meine Herkunftsfamilie verschwieg lange meine Krankheit. Es war ihnen peinlich, denn für sie ist diese Krankheit eine Schwäche. Für sie gehört die Depression zu labilen, lebensunfähigen Menschen. Ich hörte Sätze wie: „Du musst nur richtig wollen, dann geht das schon...“; „Steigere dich da nicht so rein... .“ Mein Mann und meine Familie sowie meine Freundinnen gehen damit offen um. Sie nehmen mich, wie ich bin und geben mir die Freiräume die ich brauche. Inwieweit meine Familie die Krankheit wirklich versteht, kann ich nicht beurteilen. Wichtig ist, ich bin wie ich bin.

 

Welche Dinge haben Dir am meisten geholfen, die Krankheit zu akzeptieren?

Es bleibt einfach kein anderer Weg, als diese Krankheit zu akzeptieren. Je mehr ich sie ablehne und bekämpfe, desto mehr nistet sie sich ein. Ich brauchte viele Therapiestunden um das zu begreifen. Es zu akzeptieren, mich selbst so anzunehmen wie ich bin, ist ein anderer Schuh. Je mehr ich mich selbst begreife, umso mehr akzeptiere ich die Krankheit, die mir die Chance gibt, mich neu zu definieren und mein Leben positiv zu verändern. Ich will leben!

 

Welche Ressourcen nutzt du in Krisensituationen?

Ohne meinen „besten Ehemann“ der Welt hätte ich so manche Krise nicht überstanden. Ich treffe wohlüberlegte Entscheidungen für mich und Ich sage NEIN, wenn ich NEIN meine (oft, nicht immer). In Krisensituationen geht es nicht ohne unterschiedliche Skills. Einige habe ich immer dabei, andere sind immer im Kopf (Gedankenspiele). Je mehr ich meine Grenzen selbst einhalte, je weniger brauche ich Skills. Schreiben und fotografieren sind meine besten Skills. Achtsamkeitsübungen, positive Momente des Tages aufschreiben und nachlesen alter Blogs zum Thema, lesen was ich alle schon geschafft habe.

 

Was möchtest du anderen Betroffenen mit auf den Weg geben?

Die Depression ist Fluch und Chance. Es ist ein sehr langer Weg, der viel Geduld benötigt, da meine kleinen Schritte die Größten sind. Sei nicht so hart mit dir selbst und stecke dir kleine, erreichbare, Ziele. Es ist nicht wichtig, wann du ankommst. Wichtig ist, dass du ankommst – bei dir selbst. Es wird besser, immer ein kleines Stück. Sei mutig, vertraue dir, du bist es wert.

 

Was möchtest du anderen Angehörigen mit auf den Weg geben? Wie können sie dir (einerseits) und sich selbst (andererseits) am besten helfen?

Angehörige müssen nicht verstehen, wie ich mich fühle oder wie ich gerade denke. Sie helfen, indem sie akzeptieren, wie ich bin und mich nehmen, wie ich bin. Ich bin krank, aber nicht geistig behindert. Sie können zuhören, mich in den Arm nehmen, mir Zeit schenken und mich motivieren. Angehörige sind nicht selbst depressiv. Sie müssen nicht genauso inaktiv leben wie ich. Sie müssen auf jeden Fall für sich selbst sorgen! Sie müssen nicht Angst haben, mich mit ihrer Aktivität zu verletzen. Jeder Betroffene muss seinen eigenen Weg gehen, andere können ihn nicht gehen.

 Was macht deinen Charakter aus und welche Eigenschaft schätzt du an dir am meisten?

Das ist eine Schwerst-Frage, lächel. Ich bin emphatisch, ehrlich und authentisch, glaube ich. Inzwischen mag ich meine Emotionalität und ich kann mir im Spiegel in die Augen sehen.

Aufgeben ist keine Option für mich.



Interview-Fragen: Nachgefragt

Vor einiger Zeit hast du als Mutmacher*in einen Beitrag für unser Projekt geschrieben. Wir möchten wissen, wie es den Mutmacher*innen inzwischen geht. 

 

Betroffene/r: Heike Pfennig

Neues persönliches Statement gewünscht: Ich lebe so gut ich kann, mit Depression & PTBS

 

Wie geht es dir heute?

Mir geht es … Ich bin weiter voran gekommen. Ich habe manchen großen Schritt gemeistert, viele kleine Schritte und bin auch wieder rückwärts gegangen. Ich lebe so gut ich kann und seit März 2019 ohne therapeutische Unterstützung. Ehrlich, ich habe einige Situationen und Hiobsbotschaften bewältigt und ich kann meinen Suizidgedanken wiederstehen, also geht es mir gut.Ich lebe so gut wie möglich.

 

Hast du Feedback auf deinen Beitrag bei #Mutmachleute bekommen? Worüber hast du dich am meisten gefreut?

Ich weiß es nicht. Mit Tina habe ich regelmäßig Kontakt, von anderen weiß ich nicht, ob sie mich gesucht und gefunden haben, weil sie bei Mutmacherleute waren oder sind. 

 

Was hat sich für dich zum Positiven geändert, seit du offener mit deiner Erkrankung umgehst?

In erster Linie hat es bewirkt, dass ich selbst reflektiere und selbst erfahre: ich bin nicht allein. Es gibt viele Menschen die mitfühlen und verstehen, die mir wiederum Hilfe geben. Es ist ein wundervolles geben und nehmen. Mir tut es gut, offen zu schreiben, um mir selbst und anderen (auch Angehörigen oder Interessierten) zu helfen, sich selbst und diese fürchterliche Krankheit zu verstehen. Jetzt blogge ich auch offen zum Thema Suizid, weil ich zeigen kann, ich habe überlebt und das Leben ist es wert. Es gibt immer ein Licht, auch wenn ich es gerade nicht sehen kann.

 

Was wünschst du dir für deine persönliche Zukunft?

Ich wünsche mir, dass ich noch viel Zeit zum leben mit meinem Mann habe. Das es mir gelingt, weitere kleine Schritte zu gehen, denn ich bin noch nicht am Ziel. Es kann noch besser werden. Ich möchte wieder ohne das Risiko meiner Suizidgedanken und ohne Angst leben. Ich möchte meine Belastbarkeit erhöhen und mein ICH stärken und festigen.