Allein gelassen in der Corona-Pandemie
Worte, die im Kopf sind. Worte die mich jagen. Worte die nicht aufgeschrieben werden wollen. Worte die mir am Herzen liegen. Worte, die aufzeigen wie ich in der Coronazeit lebe oder besser überlebe. Denn Leben ist das nicht! Auch nicht für mich.
Ich wollte Mitte März eine Woche Auszeit am Meer. Ich war stark angeschlagen und brauchte das Meer. Das Meer, dass mir immer inneren Frieden schenkt und die Ruhe vor dem alltäglichen Leben, den alltäglichen Sorgen und Nöten, dem gerade stattfindenden Familienwahnsinn. Gerade angekommen, hörten wir die ersten Nachrichten, davon dass die Inseln bald geschlossen werden. Bis dahin aber, genossen wir das Leben. Zingst war voll von Menschen der Risikogruppen. Niemand interessierte Corona. An den Stränden war genug Platz für alle, ohne das man sich wirklich nahe kam oder kommen wollte. Die Gaststätten waren voll, jeder Tisch besetzt, ohne Reservierung ging gar nichts. Es wurde auf Abstand geachtet, aber ansonsten war alles unkompliziert und frei. Zwei Tage später war es vorbei. Alle Urlauber hatten sofort oder bis spätestens Donnerstag die Insel zu verlassen. Nein, sofort abreisen? Kam nicht in Frage. Wir wohnten in einer Fewo, was sollte das? Wir waren noch 2 Tage fast allein unterwegs. Schauten in die geschlossenen Läden und Restaurants und liefen am Menschenleeren Strand. Ich versuchte genau diese Ruhe zu genießen und doch stand Corona über mir. Ich musste meine Auszeit unfreiwillig beenden. Einfach so. Donnerstag.
Zurück zu Hause, kam der Alltag. Der Mann ging weiterhin arbeiten, Corona war auf den Baustellen kein Thema, sieht man davon ab, dass alle Leiharbeiter aus Tschechien nicht da waren, 2/3 des Personals fehlte. Die Arbeit musste gemacht werden und Termine waren und sind einzuhalten, egal ob die Welt gerade unter geht oder nicht. Die Leiharbeiter sind wieder da, Corona ist auch noch da, aber ansonsten hat sich nichts geändert und Coronainfizierte gibt es auch nicht. Ein Wunder!
Ich hingegen zog mich zurück. Die graue niederdrückende Stimmung der Depression holte tief Luft und schlug zu. Ich habe Schwierigkeiten über den Tag zu kommen, morgens aufzustehen und irgendwie eine Grundstruktur einzuhalten. Ich verschlafe den halben Tag, damit ich nichts höre und sehe von dieser Welt. Ich spiele irgendwelche Spielchen, um meinen Kopf irgendwie in Aktion zu bekommen oder um meine Gedanken in Zaum zu halten. Nachrichten früh am Morgen zum Frühstück (meinem Mann geschuldet) und abends, überall Corona. Corona hin und her und her und hin. Keinerlei positive Infos. Nur Corona, Infizierte und Tote.
Wenn das schon "normalen" Menschen auf die Nerven geht, wie sollen dann psychisch kranke Menschen damit leben können? Niemanden interessiert es gerade, wie Menschen mit psychischen Behinderungen, diesen Wahnsinn überstehen. Ich vegetiere vor mich hin. An den meisten Tagen geht überhaupt nichts. Ich vergessen das Essen, meine Tabletten und das Trinken. Ohne meinen Mann, würde ich sehr wahrscheinlich gar nicht mehr essen, an diesen Tagen. Einzelne Tage gibt es, an denen ich wenigstens den Abwasch, oder die Wäsche, oder ein paar andere Alltagsaufgaben erledigen kann. Sie sind an einer Hand abzuzählen.
Ich habe überhaupt keine Motivation raus zu gehen. Ich möchte mir nicht die tote Stadt anschauen. Ich möchte nicht in meiner so geliebten Altstadt bummeln, wenn dort niemand - wirklich niemand - unterwegs ist. Es mag für Fotofreunde eine Supermotiv-Zeit sein. Endlich fotografieren ohne störende Menschen. Mir ist selbst das fotografieren vergangen. Auch wenn ich Menschenmassen meide, fehlen mir jetzt die Menschen in der Altstadt. Es müssen ja nicht gleich wieder die chinesischen oder russischen Horden sein, aber Menschen sollten schon da sein. Menschenleer ist eine Stadt tot und für mich kein Motiv und schon gar nicht ein Grund hinaus zu gehen. Darüber hinaus sollten ja alle Menschen zu Hause bleiben.
Wir durften uns, wochenlang, nur in einem Umkreis von 15 km, bewegen. Was für einen Grund hatte ich also nach Draußen zu gehen? Ich konnte es nicht. Auch jetzt, wo wir uns wieder im Land Sachsen bewegen dürfen, kann ich mich nicht überwinden aus meiner Wohnung zu gehen. Ich kann nicht verstehen, warum ich nicht auf einer Bank sitzen kann, obwohl ich diese oft für eine Pause brauche. Ich habe keine Lust, darauf angesprochen zu werden, von irgendwelchen klugen Menschen oder gar von der Polizei. Also bleibe ich in der Wohnung und auf meinem Balkon. Doch Leben ist das nicht. Ich schaffe es nicht, mir kleine Auszeiten zu gönnen, mich über irgend etwas Schönes zu freuen. Ich bin wieder in dem "Einerlei" meiner grauen Welt der Depression gefangen. Ich kann nichts positives aufnehmen oder empfinden. Ich bin im negativen Denken gefangen. Das wird durch die Medien noch verstärkt und gefördert.
An ein paar wenigen Tagen schaffe ich es los zu gehen. Blumen für den Balkon zu bestellen, in den Pennymarkt zu gehen und notwendige Arzttermine einzuhalten. Ich muss die Maske aufsetzen und schon verteile ich mehr Keime und Viren, wie ohne. Ich fange an zu schwitzen und fühle mich stark bedrängt. Der Schweiß tropft mir über das Gesicht und aus den Haaren. Doch ich halte durch. Irgendwie. Raus aus dem Laden und sofort die Maske vom Gesicht. Dabei ist mir völlig egal, wie ich sie vom Gesicht bekomme, Hauptsache runter mit dem Ding und Luft holen. Zu Hause, nach dem Hände waschen, auspacken und... . Dann wieder Hände waschen. Aber reicht das wirklich. Was ist mit den Keimen und Viren, die ich schon an den Türen, an den Schränken, gelassen habe. Die sind noch da und fühlen sich wohl, denn ich desinfiziere nicht meine Wohnung, nur weil ich mal draußen war.
Was ich draußen und bei meinem Arzt-Terminen erlebt habe, lässt mich nicht ruhiger werden. Corona - Corona - Corona.
Ich muss selbst die Maske aufsetzen - Corona. Mein Einkaufswagen wird desinfiziert - Corona. Im Laden sehe ich Menschen mit Masken - Corona. Ein Opa zieht erst das Taschentuch aus der Hosentasche, dann seine Maske, die er aufsetzt - Corona. Im Bäcker die Verkäuferin, fasst sich mit beiden Händen (eine mit Handschuh) ins Gesicht, lüftet die Maske, pustet sich Luft an die Stirn, verdreht die Augen, richtet die Maske und bedient danach einfach weiter - Corona. Eine Frau hängt die Maske an den Einkaufswagen, bevor sie diese im Gesicht benutzt - Corona. Beim Kardiologen - erster Termin - kein Mundschutz und keine Desinfektion - niemand, weder die Patienten noch das Personal - Corona. Zweiter Termin - Mundschutz beim Personal - Corona. Bei der Nuklearmedizinischen Untersuchung (Herz) - erster Termin - Mundschutz nur beim Personal, keine Desinfektion - Corona. Beim zweiten Besuch, eine Woche später - Mundschutz und Desinfektion gefordert, selbst bei meinem Stresstest (der Atemnot verursacht) - Corona.
Im Steuerbüro sitzen mehrer Angestellte ohne jeden Abstand, ohne Mundschutz. Sie müssen arbeiten. Auf dem Bau, kein Mundschutz und nur in den Büros Abstand und Desinfektion. Menschennahes arbeiten geht trotzdem und niemand hat Corona.
Nachrichten berichten mir, dass die Bundesliga, die Lufthansa, die Autoindustrie und die Bahn unbedingte Milliardenzuschüsse erhalten müssen - Corona. Lockerungen werden nach Nase vergeben und natürlich darf sofort die Bundesliga wieder spielen - Corona. Es werden Auflagen für Handel, Gastronomie, Kitas und Schulen ... verlangt und niemand fragt danach, wie man diese umsetzen kann oder wie sinnvoll diese sind - Corona. Nachrichten sind, ohne Brille zu erkennen, nur Regierungskonform - Corona.
Jeden Tag nur Infizierte und Tote, Zahlen die niemand wirklich kennt und die jeder Wirklichkeit entbehren - Corona. Menschen werden zum denunzieren aufgerufen, ganz offiziell - Corona. Wissenschaftler, Virologen und Ärzte, die andere Informationen geben, werden diffamiert - Corona. Menschen die gegen die unverhältnismäßigen Einschränkungen demonstrieren werden als rechts- oder links Radikale diffamiert - Corona.
Ich habe in vielen Jahren Psychotherapie gelernt, für mich selbst Entscheidungen zu treffen, meine Meinung zu haben und auch zu äußern, mich nicht für dumm zu halten und mir selbst zu vertrauen. Ich habe verschiedenes Handwerkszeug gelernt um meine Gedanken zu beruhigen oder zu sortieren. Doch jetzt in diesen Zeiten, funktioniert nichts davon. Es kann nicht funktionieren, weil viel zu viele negative Einflüsse auf mich nieder prasseln. Einflüsse, die mich sofort wieder an mir selbst zweifeln lassen. Ganz offensichtlich und frei, werden die Menschen in diesem Land, durch Presse, Funk, Fernsehen = Regierung, für dumm gehalten. Es wird mit Zahlen und Informationen jongliert wie zu besten DDR-Zeiten. Wer nicht pariert, hat mindestens ein Bußgeld zu erwarten oder kann denunziert werden. So wird Zwang ausgeübt und Einheitsdenken befördert.
Wie soll ich das verstehen? Ich kann es nicht verstehen. Und schon ist da das kleine Monster, das mir sagt: Siehste wusste ich doch, du bist zu dumm um zu verstehen. Deine Meinung hat keinen Wert und du kannst sie für dich behalten. Sie interessiert doch niemanden. Es hört dir niemand zu. Es will niemand wissen wie es dir geht, was du denkst und fühlst. Ich kann mich nicht in eine Imagination begeben, wenn alle diese Nachrichten und Gedanken in meinem Kopf nach lauten Sambaklängen tanzen. Es geht nicht. Ich kann nur eines. Mich zurück ziehen, in mich selbst. Jahrelange Therapie wird nun über den Haufen geworfen.
Ich fühle mich allein gelassen und völlig unwichtig. Wer bin ich denn, das ich mir anmaße selbst zu denken? Mein Psychologe, meine Therapeutin und sogar die Ergotherapie sind wegen Corona unerreichbar. Niemand da. Ach so, ja. Ich könnte Notrufnummern wählen, telefonische oder Internet-Beratung in Anspruch nehmen und da gibt es ja noch so eine neue App ... Nein, das alles ersetzt nicht eine Therapiestunde, mit einem Menschen gegenüber, der mir zuhört und mich versteht. Eine Therapie steht mir gerade nicht zu und sie könnte im letzten Quartal des Jahres eventuell möglich sein. Kein Mensch interessiert sich dafür, ob ich als psychisch kranker Mensch gerade besonders gefährdet bin, besonders Hilfe benötige. Ich weiß selbst sehr gut, dass ich gerade wieder viele Schritte zurück gegangen bin, dass die Depression und meine Trigger der PTBS viel Macht haben, aber ich kann mich nicht selbst befreien.
Ich bin gefangen in der grauen Macht der Depression. Corona.
Ich bin mit all dem hier aufgeschriebenen, nicht allein.
Es gibt viele psychisch kranke Menschen, die gerade jetzt in Not sind.